Trend zu immer spektakulären Effekten
Das muss auch sein, denn die Entwicklung ist rasant. Rund 100 Grundfarbtöne gibt es, und «jedes Jahr kommen vier bis fünf neu eingesetzt Grundfarbtöne dazu», so Wistorf. Dazu gibt immer mehr Effekte. Die Farbtonstabilität, sagt der Experte, werde in Mitleidenschaft gezogen. Weil zudem die Spaltmasse heute immer kleiner und immer mehr Teile lackiert seien, werde die Arbeit für Lackierbetriebe anspruchsvoller.
Kleinere Unterschiede im Farbton springen sofort ins Auge, und das zu Zeiten, in denen die Farbdesigner der Autohersteller bemüht sind, mit neuen Trends und speziellen Farben Akzente zu setzen.
«Farbtonflops, also sich je nach Blickwinkel verändernde Farbtöne, sind Herausforderungen», sagt Wistorf. Dazu werden über die Grundfarbe dünne Schichten mit verschiedenen, ultradünnen Lasuren gelegt. Ein Beispiel dafür ist Mazda mit der Lackfarbe Rhodium White – einem Weiss, das je nach Blickwinkel aufs Auto unterschiedlich wirkt. «Der Trend geht klar zu immer mehr und immer spektakuläreren Effekten», erläutert Wistorf.
Ein unerlässlicher Helfer in der Lackiererei ist deshalb ein Farbtonmessgerät. «Es genügt heute nicht mehr, so lackieren zu wollen wie immer», erläutert Wistorf. Das sei aber längstens bekannt; rund 98 Prozent der André Koch-Kunden hätten ein Farbtonmessgerät.
«Es ist fast unmöglich, nur nach Augenmass den richtigen Farbton zu treffen.» So gäbe es allein für die Farbe Volkswagen-Silber LA7W verschiedene Nuancen, die individuell abzumischen seien, weil nicht jedes silberne Fahrzeug aus Wolfsburg gleich ist.
Zwei Jahre bis zur Formel
Die Digitalisierung ist eine wertvolle Unterstützung, auch in der Carrosseriewerkstatt.
«Die gute Vorbereitung ist aber notwendig, damit das Messgerät mit 26 verschiedenen LED-Farbfiltern in drei Winkeln gute Ergebnisse ausspielen kann», erklärt er. Die Daten werden mit der Datenbank und den über 250’000 Datensätzen abgeglichen. In der Datenbank können Lab-Werte, der Effekt und die Metamerie des Farbtones überprüft werden und die bestehende Formel wird digital korrigiert, so dass sie zum Fahrzeug angepasst wird. Das menschliche Auge prüft – wenn nötig – anhand eines Musterbleches die korrigierte Formel. so der Farbtonexperte.
Die Designabteilungen der Automobilhersteller fordern aber nicht nur die Datenbank und den Farbmischprozess heraus. Kommt ein neues Fahrzeug mit einer neuen Lackierung, ist die Standox-Coloristik im Headquarter gefordert.
Zwar gibt es gewisse Unterstützung durch die OEM: Die Autohersteller stellen Muster zur Verfügung. Vom Designmuster über die Formel, bis zur Serienlackierung dauert es rund zwei Jahre, «Bei der Formelerstellung passieren die die ersten Schritte am Computer, aber für den Feinschliff braucht es auch hier das menschliche Auge», erklärt Volker Wistorf.
Hilfreiche Tools und Video-Tutorials
Die Lackhersteller unterstützen die Lackierbetriebe auf vielfältige Weise bei den modernen und komplexen Autolackierungen. So trifft das vollautomatische Farbmischsystem von Axalta «Irus Mix» in Sachen Farbtongenauigkeit und Zeitgewinnung für den Lackierer voll ins Schwarze.
«Für eine bestimmte Lackierung eines Teslas mussten wir jedoch die Crew während eines Tages für dieses spezielle Verfahren schulen», weiss Wistorf zu berichten. Für die meisten Verfahren gibt es auf der Standox-Website Video-Tutorials mit guten Erklärungen.
«Man muss verstehen, wie man vier bis fünf ganz dünne Schichten auftragen kann.» Für gewisse Sonderfarben braucht es sogar einen Sondereffort der Lackproduzenten, wie eine Anekdote verdeutlicht: «Wir hatten gesehen, dass Toyota einen Wagen mit einem eigenen Blau produziert. Toyota meinte, das Fahrzeug käme nicht nach Europa. Wir mussten das Farbpigment also in den USA bestellen – und wir haben jetzt schon drei solche Fahrzeuge repariert.»
Nicht zu den 250 000 Formeln gehört übrigens jene Lackierung, die Rolls-Royce vor einigen Jahren unter anderem am Auto-Salon Genf präsentierte. Der Rolls-Royce Ghost mit der Speziallackierung «Diamond Stardust» hält, was der Name verspricht. Für die Lackierung wurden 1000 Diamanten zu feinstem Staub gemahlen und in der Lackierung mitverarbeitet. Und für das Finish brauchte es angeblich einen Eichhörnchenhaar-Pinsel. Damit dürften allein die Lackierkosten wohl gar den Preis des Fahrzeugs um ein Mehrfaches übersteigen.
Text / Bilder: Sascha Rhyner, AGVS – AutoInside Ausgabe 4 – April 2024